Provisionsverbot abgesagt. Schade!
Die deutsche Finanzberatungsbranche stand vor einer möglichen Revolution. Deutschland und die EU zogen in Erwägung, die Provisionsberatung abzuschaffen und ausschließlich die Honorarberatung zuzulassen. Die Diskussion hat Wellen geschlagen, da viele Berater warnten, dass dies negative Auswirkungen auf ihre Praxis und die Qualität der Beratung insgesamt hätte haben können. Nun hat EU-Finanzkommissarin Mairead McGuinness bekannt gegeben, dass ein Provisionsverbot in der Finanzbranche vorerst vom Tisch ist. Schade. Denn Deutschland und die EU hätte aus den Erfahrungen anderer Länder lernen, die ähnliche Reformen durchgeführt haben.
Die Retail Distribution Review: Ein Rückblick
In Großbritannien wurden die Finanzmärkte 2012 durch die Einführung der Retail Distribution Review (RDR) radikal verändert. Das Ziel der RDR war es, die Transparenz in der Finanzberatung zu erhöhen, potenzielle Interessenkonflikte zu minimieren und die Qualifikationen und Professionalität der Finanzberater zu steigern. Ein wesentlicher Bestandteil dieser Reform war die Abschaffung der Provisionsberatung zugunsten der Honorarberatung.
Damals wurden ähnliche Bedenken geäußert wie jetzt in Deutschland. Kritiker warnten, dass die Abschaffung der Provisionen eine "Beratungslücke" verursachen könnte, indem sie den Zugang zur Finanzberatung für weniger wohlhabende Personen einschränkt. Andere argumentierten, dass die Anforderungen an höhere Qualifikationen viele bestehende Berater aus dem Geschäft drängen könnten.
Zehn Jahre später: Die Vorzüge der Honorarberatung
Ein Jahrzehnt nach der Einführung der RDR zeigt eine Überprüfung der Financial Conduct Authority (FCA), dass die Reform viele positive Auswirkungen hatte. Insbesondere wird die Verbesserung der Beratungsqualität und der Transparenz der Gebühren durch die Honorarberatung hervorgehoben.
Das Argument der Beratungslücke hat sich als teilweise berechtigt erwiesen, jedoch mit einem bedeutenden Vorbehalt. Während die Honorarberatung für einige weniger wohlhabende Kunden tatsächlich unzugänglich geworden ist, ist es wichtig zu bemerken, dass Finanzberatung schon immer eher auf wohlhabendere Kunden ausgerichtet war. Darüber hinaus hat die Veränderung in der Branche zu neuen und innovativen Formen der Beratung geführt, die für breitere Bevölkerungsschichten zugänglich sind, einschließlich digitaler Plattformen und Robo-Beratern. Diese Verschiebung kann letztlich dazu beitragen, die Finanzberatung zu demokratisieren und sie für eine breitere Bevölkerungsschicht zugänglich zu machen, was angesichts der Herausforderungen des Rentensystems insgesamt positiv ist.
Die Verbesserung der Finanzberatung in Großbritannien
Die FCA-Überprüfung hat auch festgestellt, dass die allgemeine Qualität der Finanzberatung in Großbritannien gestiegen ist. Ein wichtiger Aspekt dieser Verbesserung ist die Veränderung der Natur der Finanzberatung von "transaktional" zu "relational". Statt nur einzelne Transaktionen oder Produkte zu verkaufen, investieren Berater nun mehr in den Aufbau von Beziehungen zu ihren Kunden. Dies hat mehrere Vorteile: Es fördert das Vertrauen, ermöglicht eine tiefere Kenntnis der finanziellen Ziele und Bedürfnisse des Kunden und ermöglicht eine langfristige Finanzplanung, die auf die individuellen Lebensumstände des Kunden abgestimmt ist.
Ein weiterer positiver Trend, der aus dieser Änderung resultiert, ist das verstärkte Augenmerk auf Behavioral Coaching und Financial Wellbeing. Statt sich ausschließlich auf harte Zahlen und Produkte zu konzentrieren, berücksichtigen Berater zunehmend die psychologischen und emotionalen Aspekte des Geldmanagements.
Behavioural Coaching und Financial Wellbeing
Behavioural Coaching basiert auf den Erkenntnissen der Verhaltensökonomie und konzentriert sich darauf, Kunden dabei zu helfen, bessere finanzielle Entscheidungen zu treffen, indem sie ihre emotionalen und psychologischen Reaktionen auf finanzielle Ereignisse besser verstehen und kontrollieren. Financial Wellbeing hingegen bezieht sich auf das allgemeine finanzielle Wohlbefinden eines Individuums und darauf, wie es seine finanziellen Ressourcen nutzen kann, um ein erfülltes und zufriedenes Leben zu führen.
Diese beiden Ansätze haben der Finanzberatung in vielerlei Hinsicht gutgetan. Sie haben dazu beigetragen, die Beratung stärker auf die individuellen Bedürfnisse der Kunden auszurichten, anstatt nur auf den Verkauf von Produkten. Darüber hinaus haben sie es Beratern ermöglicht, ihren Kunden in einer umfassenderen und bedeutungsvolleren Weise zu helfen, indem sie sie dabei unterstützen, sowohl ihre finanziellen Ziele zu erreichen als auch ein gesundes Verhältnis zu Geld zu entwickeln.
Berater, die diese Ansätze übernehmen, berichten auch von positiven Auswirkungen auf ihre eigenen Praktiken. Sie finden die Arbeit erfüllender, bauen stärkere und dauerhaftere Beziehungen zu ihren Kunden auf und können sich als echte Vertrauenspersonen und Ratgeber positionieren.
Fazit: Was Deutschland von Großbritannien lernen kann
Angesichts der positiven Erfahrungen, die Großbritannien mit der RDR gemacht hat, hätte es Deutschland und der EU nicht schlecht getan, eine ähnliche Reform in Betracht zu ziehen. Während die Änderungen sicherlich Herausforderungen mit sich bringen werden, zeigen die Erfahrungen aus Großbritannien, dass sie auch erhebliche Vorteile bieten können, sowohl für Berater als auch für Kunden.
Die Abschaffung der Provisionsberatung kann zu einer höheren Transparenz, einer verbesserten Beratungsqualität und der Demokratisierung der Finanzberatung führen. Zudem fördert sie eine Verschiebung hin zu einer mehr relationalen und weniger transaktionalen Praxis, was letztlich sowohl den Beratern als auch den Kunden zugutekommt.
Es ist wichtig, dass diese Veränderungen von entsprechenden Maßnahmen zur Unterstützung der Berater und zur Erleichterung des Zugangs zu Beratung für weniger wohlhabende Kunden begleitet werden. Innovative Lösungen wie digitale Plattformen und Robo-Berater können hierbei eine entscheidende Rolle spielen.
Schließlich kann die Übernahme von Ansätzen wie Behavioral Coaching und Financial Wellbeing dazu beitragen, die Finanzberatung insgesamt sinnvoller und relevanter für Kunden zu gestalten. Diese Ansätze helfen den Kunden, besser informierte und gesündere finanzielle Entscheidungen zu treffen, und ermöglichen den Beratern, ihre Arbeit als wertvollen und geschätzten Service zu positionieren.
Insgesamt zeigt das Beispiel Großbritanniens, dass Veränderungen zwar herausfordernd sein können, aber auch eine Gelegenheit bieten, die Praxis der Finanzberatung zum Vorteil aller Beteiligten zu verbessern. Die deutsche Finanzberatungsbranche hätte diese Gelegenheit nutzen können und die notwendigen Schritte unternehmen, um eine transparentere, kundenorientiertere und letztlich effektivere Praxis zu etablieren.
Angesichts der anhaltenden Herausforderungen in Bezug auf das Rentensystem und die wachsende Notwendigkeit, breiteren Bevölkerungsschichten Zugang zu qualitativ hochwertiger Finanzberatung zu bieten, wäre an der Zeit gewesen, mutige und zukunftsorientierte Entscheidungen zu treffen. Und wer weiß, vielleicht hätten wir in einem Jahrzehnt zurück geblickt und gesehen, dass diese Veränderungen der Beginn einer neuen Ära der Finanzberatung in Deutschland waren. Wishful thinking.