Prospective Hindsight
Erinnern Sie sich an den Sommer 1992? Wo waren Sie? Mit wem haben Sie Ihre Zeit verbracht? Was haben Sie Tag für Tag gemacht?
Lassen Sie mich Ihnen helfen: Diese Zeit war geprägt von Serien wie "Beverly Hills, 90210", Filmen wie "Ein unmoralisches Angebot" und Hits wie "Smells Like Teen Spirit" von Nirvana. Im Fußball wurde der VfB Stuttgart Deutscher Meister und Fritz Walter vom 1. FC Kaiserslautern wurde mit 22 Toren Torschützenkönig.
Erinnern Sie sich?
Im Sommer '92 gewann auch Andre Agassi zum ersten Mal Wimbledon. Auf die Frage eines Reporters, wie es sich anfühle, das erste Mal Wimbledon zu gewinnen, antwortete Agassi jedoch seltsam: "Ich habe Wimbledon schon mindestens 10.000 Mal gewonnen".
So ähnlich begann ich meinen Keynote-Vortrag auf der jährlichen Konferenz des Institute for Financial Wellbeing (na gut, ich habe britische TV Serien und Fußball Referenzen benannt). Meine Aufgabe war es, über das "langfristige Denken" zu sprechen und darüber, wie man eine Verbindung zu seinem zukünftigen Selbst aufbauen kann. Warum begann ich dann mit einer Geschichte aus der Vergangenheit?
Wenn wir uns an Ereignisse in der Vergangenheit erinnern, aktivieren wir den gleichen Teil unseres "vorausschauenden Gehirns", als wenn wir an die Zukunft denken. Wir beschäftigen dabei unseren präfrontalen Kortex, der an Entscheidungsfindungen beteiligt ist, den Hippocampus, der sich um die Speicherung von Erinnerungen kümmert, sowie andere Gehirnbereiche, die mit Emotion und Motivation aufgeladen sind.
Das “vorausschauende Gehirn” kann man trainieren. Wenn man es schwer findet an die Zukunft zu denken, dann kann man in der Vergangenheit anfangen.
Etwas ähnliches ist es, was Andre Agassi meinte, als er sagte, dass er Wimbledon schon 10.000 Mal gewonnen hatte. Er visualisierte sich selbst dabei, wie er den Centre Court betrat, wie er den Ball das erste Mal prallen ließ, sein Schweißband justierte und wie er mit den Höhen und Tiefen umgehen musste, je nachdem wie der erste Satz verlief. Er trainierte sein vorausschauendes Gehirn für seinen späteren Erfolg.
Wir können aus dieser Anekdote Schlussfolgerungen zu unserem "Financial Wellbeing" machen. Forschungen an meinem Centre for Behavioural Research haben gezeigt, dass Menschen, die eine konkrete und bedeutungsvolle Verbindung zu ihrem zukünftigen Selbst haben, einen ganz anderen Umgang mit Geld an den Tag legen. Sie sparen eher für die Altersvorsorge, haben weniger Schulden, verfügen über größere Rücklagen und haben häufiger Versicherungsprodukte wie Lebens- oder Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen.
Was uns oft fehlt, ist ein Mindset Tool. Wir haben genügend Money Tools. Finanzdienstleister stellen uns Budgetrechner, Schuldenrechner und Tools zur Ermittlung der Rentenlücke zur Verfügung. Die in diesen Produkten steckende inhärente Annahme lautet, dass den Menschen das Wissen fehlt, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Das ist aber häufig gar nicht richtig: die Menschen wissen in der Regel, dass sie Einnahmen und Ausgaben managen müssen, dass Sie vorsichtig bei der Aufnahme von Schulden sein müssen, und dass sie am besten Altersvorsorge betreiben. Mangelndes Wissen ist nicht das Problem. Das Problem ist, dass man auf das existierende Wissen nicht weiß die richtigen Handlungen zu unternehmen.
An meinem Centre for Behavioural Research entwickeln wir in Zusammenarbeit mit der University of Edinburgh ein Mindset Tool, das auf dem Ansatz des "Prospective Hindsight" basiert. Dieses Tool setzt beim eigentlichen Problem an.
In unserem Prototyp werden die Nutzer dazu angeregt, ein paar Dinge über sich selbst zu erzählen: Wie alt sie sind, ob sie einen Partner oder Partnerin haben, ob sie Kinder haben. Und dann: wie weit in die Zukunft sie denken möchten. Sie werden dazu eingeladen, über ihr Alter zum gewählten Zeitpunkt in der Zukunft nachzudenken.
Das Tool spielt dann das Alter des Nutzers zum auserwählten Zeitpunkt in der Zukunft zurück. Es lädt den Nutzer dazu ein, darüber nachzudenken, wie alt dann die Partnerin/der Partner und die Kinder sind. Für viele ist das ein Schock, und das Tool lädt die Nutzer dazu ein, diese Emotion anzuerkennen.
Anschließend werden die Nutzer in einer Übung, die wir "Lückenfüllen" nennen, dazu aufgefordert, einige Leerstellen in einem Text auszufüllen. Sie beginnen darüber nachzudenken, wo sie in X Jahren sein werden, mit wem sie Zeit verbringen werden, was ihnen Lebenssinn und Lebensfreude bereiten könnte und so weiter.
Im nächsten Schritt kommt das "vorausschauende Rückblicken". Der Gedanke dahinter ist, sich die Gegenwart aus der Perspektive der Zukunft vorzustellen. Diese Technik hat sich als wirksam erwiesen, um Menschen dabei zu helfen, konkrete Schritte zu planen, um ihre Ziele zu erreichen.
Im Tool werden die Nutzer dazu eingeladen, darüber nachzudenken, was ihren gewünschten Lebensstil behindern könnte und welche Maßnahmen – die in ihrer Kontrolle liegen! – sie ergreifen können, um den gewünschten Lebensstil zu ermöglichen. Es geht nicht nur um finanzielle Dinge. Vielleicht müssen sie heute mehr Zeit mit der Familie verbringen, über die Work-Life-Balance nachdenken, sich stärker in der Gemeinschaft engagieren, ein neues Hobby verfolgen oder an einem Weiterbildungsprogramm teilnehmen.
Die Konferenzteilnehmer, vornehmlich Finanz- und Vermögensberater, sind stets auf der Suche nach Möglichkeiten, ihre Beratung zu bereichern. Sie wollen nicht nur Cash-Flow-Modellierungen und Auszahlungsberechnungen durchführen. Deshalb war ich sehr froh über die lebhafte Diskussion in der Breakout-Session nach meiner Präsentation und dem positiven Medienecho, zum Beispiel im Money Marketing Magazin. Ich glaube tatsächlich, dass unser Ansatz einzigartig und sehr innovativ ist. Sind Sie interessiert? Ich teile gerne einen Link zum Prototypen. Wenn Sie Interesse haben, treten Sie einfach mit mir in Kontakt.
Abschließend lässt sich sagen: Der Schlüssel zum Financial Wellbeing liegt weniger in Zahlen und Fakten als vielmehr in unserer Fähigkeit, eine Beziehung zu unserem zukünftigen Selbst aufzubauen und langfristig zu denken. In meinem Buch lesen Sie dazu mehr.