Nachhaltiges Investieren und Financial Wellbeing
Nachhaltiges Investieren (oder investieren in ESG-Fonds) wird immer populärer. In den letzten Jahren hat die Nachfrage nach nachhaltigen Investmentprodukten stark zugenommen. Laut einer Studie von Union Investment aus dem Jahr 2021 haben mittlerweile 77 Prozent der befragten deutschen Anlegerinnen und Anleger ein Interesse an nachhaltigen Investments.
Die Finanzbranche hat auf die gestiegene Nachfrage reagiert und bietet inzwischen eine wachsende Anzahl von nachhaltigen Investmentprodukten an. Laut dem Forum Nachhaltige Geldanlagen (FNG) gab es in Deutschland im Jahr 2020 bereits mehr als 1.800 nachhaltige Investmentfonds.
Auch die Politik hat das Thema „Nachhaltiges Investieren" aufgegriffen. So hat die Europäische Union im Jahr 2019 die Offenlegungsverordnung verabschiedet, die es Anlageberatern und Vermögensverwaltern vorschreibt, ihre Kunden über die Nachhaltigkeit ihrer Investmententscheidungen zu informieren.
Grundsätzlich steht fest, dass das Bewusstsein für Nachhaltigkeitsthemen in der Gesellschaft zugenommen hat. Immer mehr Menschen möchten ihr Geld nicht mehr in Unternehmen investieren, die in Bereichen wie Waffenproduktion oder Kinderarbeit aktiv sind. Stattdessen möchten sie ihr Geld in Unternehmen investieren, die sich für den Klimaschutz oder soziale Gerechtigkeit einsetzen.
Aber Nachhaltiges Investieren ist nicht unumstritten. Hinsichtlich ihres langfristigen Erfolgs muss man feststellen, dass die bislang existierenden Daten zu kurze Zeitspannen umfassen, um zuverlässige Schlüsse zu ziehen. Darüber hinaus sind die Definitionen von ESG so flüssig (sie umfassen verschiedene Aspekte und Indikatoren, die von Unternehmen und Investoren berücksichtigt werden können) und gleichzeitig so starr (da sie bestimmte Kriterien und Standards erfüllen müssen, um als „ESG-konform" zu gelten), dass sie fast unsinnig sind. Auch gesellschaftliche Präferenzen hinsichtlich dessen was als ethisch gilt, können sich schnell ändern. Waffenproduktion war lange tabu. Aber dann marschierte Putin in die Ukraine ein und viele änderten ihre Meinung…
Jüngst haben viele Experten die Nachhaltigkeitsstrategien von Investoren kritisiert und argumentiert, dass sie oft nur als Marketinginstrumente genutzt werden, um das Anlagegeschäft der kriselnden aktiven Fondsmanager anzukurbeln.
Tariq Fancy zum Beispiel, ein ehemaliger Chief Investment Officer von Sustainable Investing bei BlackRock ist heute ebenso ein bekannter Kritiker des nachhaltigen Investierens. Er hat mehrere Artikel und Interviews veröffentlicht, in denen er die Branche kritisiert und behauptet, dass das nachhaltige Investieren nicht ausreichend sei, um die größten Herausforderungen der Menschheit zu bewältigen. Er argumentiert, dass die meisten nachhaltigen Anlagestrategien nur marginale Unterschiede im Vergleich zu herkömmlichen Strategien bewirken und die meisten Fonds ihre Investitionen nur oberflächlich untersuchen.
Er argumentiert, dass Nachhaltiges Investieren auf einem fundamentalen Missverständnis darüber basiert, was „Investieren” eigentlich bedeutet. Seiner Meinung nach basiert der ESG-Ansatz auf der Annahme, dass Investitionen in „gute" Unternehmen mit einem hohen ESG-Rating automatisch zu besseren finanziellen Ergebnissen führen. Fancy argumentiert jedoch, dass es keine klare Korrelation zwischen ESG-Faktoren und finanziellen Ergebnissen gibt. Und nur weil man einen Anteil an einer „guten" Firma hat, den man jederzeit wieder verkaufen kann, investiert man nicht automatisch in „gute” Unternehmen.
In meinen eigenen Studien sehe ich häufig, dass Menschen, die nachhaltig investieren, einen höheren Financial Wellbeing Score erreichen. Aber es ist unklar, ob es sich hierbei um eine Korrelation oder Kausalität handelt. Es ist sehr plausibel anzunehmen, dass Nachhaltiges Investieren vor allem gut ausgebildete und gut verdienende Menschen anspricht. Von daher kommt der höhere Financial Wellbeing Score nicht durchs Nachhaltige Investieren zustande, sondern eher durch den höheren Bildungsgrad und / oder die insgesamt bessere finanzielle Situation.
Der Psychologe und Verhaltensfinanzexperte Dan Crosbie hat in seinem Buch „The Behavioral Investor” ein verhaltenswissenschaftliches Argument für Nachhaltiges Investieren genannt. Grundsätzlich untersucht Crosbie, wie menschliche Verhaltensmuster, zum Beispiel Überoptimismus, Herdenverhalten und Angst, dazu führen können, dass Anleger irrational oder impulsiv handeln und unangemessene Risiken eingehen. Er sieht den Vorteil von nachhaltigem Investieren insbesondere darin, dass es Anlegern hilft, einen emotionalen Bezug zu ihren Investitionen herzustellen. Durch die Ausrichtung der Investitionen auf bestimmte Werte und Überzeugungen, können Anleger sich stärker mit ihren Investitionen identifizieren und diese als Teil ihres persönlichen Engagements und Beitrags zur Gesellschaft betrachten. Dies kann dazu beitragen, dass Anleger langfristig engagierter bleiben und weniger impulsiv auf kurzfristige Marktschwankungen reagieren.
Wir finden es vielleicht einfacher, den „All Share Index-Fund” in Zeiten von Marktschwankungen zu verkaufen als den „Global Sustainable Water Fund”. Bei letzterem sehen wir die Bedeutung für von Klimawandel betroffene Regionen und Bevölkerungsgruppen. Bei ersterem hingegen sehen wir eher nur ein kaltes Marktsystem bestehend aus globalen, aber in der Regel finanziell gut aufgestellten Firmen.
Ich verstehe dieses Argument. Aber ich kann deshalb immer noch nicht im Brustton der Überzeugung dazu raten, nachhaltig zu investieren. Wenn ein Hauptgrund für nachhaltiges Investieren darin besteht, dass wir motiviert bleiben, auf unser Geld kurzfristig zu verzichten, dann gibt es andere Techniken, die das günstiger erreichen und mit einer besseren Aussicht auf Erfolg (einfach, weil man mehr über andere Investitionsstrategien weiß). Zum Beispiel mit Techniken, die uns helfen, Empathie aufzubauen mit unserem Zukünftigen Selbst.
Wie gesagt: Ich bin mir nicht ganz sicher. Und deshalb ist ein Teil – wenngleich weniger als ein Drittel – meiner Altersvorsorge in ESG-Fonds investiert. Vielleicht setze ich damit ein wenig ein Zeichen. Aber vielleicht falle ich auch nur auf die Marketingtricks von aktiven Managern herein.
Eins von Tariq Fancys überzeugendsten Argumenten gegen Nachhaltiges Investieren übrigens finde ich, dass wir Gefahr laufen zu denken, dass wir genug für den Klimawandel tun, wenn wir nachhaltig investieren. Dafür gibt es nicht viele Belege. Aber es gibt Belege dafür, dass wir Klimawandel verlangsamen wenn wir eine Liste an bekannten Dingen tun, wie:
Öffentliche Verkehrsmittel benutzen, Fahrrad oder laufen, anstatt das Auto zu benutzen
Weniger Fleisch essen und Milchprodukte verzehren
Energie sparen, indem man energieeffiziente Geräte nutzt, Glühbirnen durch LED-Lampen ersetzt, den Stromverbrauch reduziert und das Zuhause besser isoliert
Erneuerbare Energiequellen wie Solar- oder Windenergie nutzen, wo es möglich ist.
Und: Unnötiges Reisen, insbesondere durch Flugreisen, vermeiden.
Ich frage mich, wie viele ESG-Fondsmanager insbesondere Letzteres beherzigen.