Geldtipps von Bernd Begemann
Der Hamburger Singer-Songwriter Bernd Begemann ist seit den 1980er Jahren aktiv. Zwar ist er weniger bekannt als andere Mitstreiter der Hamburger Schule – Tocotronic, Die Sterne, Blumfeld – aber er hat seine eigene Stimme und einen festen Platz in der Deutschen Indie-Folk Szene. Seine Lieder zeichnen sich durch ehrliche Texte und eine emotionale Performance aus. Auch wenn es oft um ernste Themen geht – Liebe, Verlust und gesellschaftliche Probleme – sind seine Lieder von ironischem und humorvollem Ton gekennzeichnet.
Auf seiner Website zitiert er die Presse, die ihn als den „musikalischsten und den hinterlistigsten Frauenversteher der Republik” bezeichnet. Aber ich sehe ihn eher als den musikalischsten und hinterlistigsten Fürsprecher der Gegenwartsbias.
Oberflächlich betrachtet, handelt es sich häufig um Liebeslieder oder Frauengeschichten. Lieder wie „Die besoffene Fahrerin”, „Judith, mach Deinen Abschluss”, oder „Was macht Miss Juni im Dezember?” behandeln aber auch etwas Tieferes: Das Problem, dass wir Hier und Jetzt leben und eine tolle Zeit haben könnten. Aber ebenso, dass die langweilige, penetrante und leider doch auch irgendwo richtige bürgerliche Vernunft uns abverlangt, auch an Morgen zu denken.
Gegenwartsbias bedeutet, dass wir oft nur das sehen, was gerade um uns herum passiert. Und dass wir nichts anderes wichtig finden als das Hier und Jetzt. Es handelt sich um eine Bias – einen Denkfehler – weil manchmal sind Dinge, die uns jetzt gerade beschäftigen (zum Beispiel ein Streit mit den Nachbarn), langfristig gar nicht so wichtig. Und umgekehrt: Manchmal sind Dinge, die erst später wichtig werden, jetzt gerade gar nicht so wichtig (zum Beispiel Altersvorsorge).
Bernd Begemann feiert das Hier und Jetzt. Vor der Pause bei seinem letzten von mir besuchten Konzert im Hamburger Knust erinnert er die Gäste daran, wie man diese zu nutzen hat. „Geht zur Bar”, sagt er, „und kauft euch und euren Freunden richtig viele Getränke”. Denn: „Der Abend wird lustiger, wenn ihr viel getrunken habt.” Aber wir Konzertgänger sollen nicht nur Getränke kaufen: „Denkt daran, den wunderbaren, gut aussehenden und jungen Barleuten viel Trinkgeld zu geben! Sie sind noch voller Träume. Nehmt sie ihnen nicht weg.” Schließlich erinnert er „Raucher und Nichtraucher, sich zu vertragen. Denn ihr braucht euch gegenseitig!”
Das sind natürlich keine „vernünftigen Tipps” zum Umgang mit unserer Gesundheit und unserem Geld. Aber vielleicht sind es vernünftige Tipps für den Umgang mit unserer Gegenwart – für Zufriedenheit und Glücksgefühle?
Bernd Begemann selbst thematisiert ebenso die Zweifel: In einem seiner jüngsten Hits – „Sie fuhr einen lila Twingo” – beschreibt er die plötzlichen Sorgen seines One-Night-Stands beim immernoch euphorischen Frühstück am Morgen danach:
Plötzlich wurde sie nachdenklich
Und sie sagte:
“So oder so, ist alles vorbei.
Ich könnte studieren, oder Ausbildung machen,
Aber so oder so ist klar, dass sie mich haben,
Und ich werde in meinem Leben,
Nie wieder so frei sein.
Oh nein, Oh nein.”
„Studieren oder Ausbildung machen” – das wäre vernünftig. Stattdessen geht sie in Bars und trifft Menschen. Sie hat Spaß, genießt das Hier und Jetzt und unterdrückt, so gut sie kann, ihre Gedanken an Morgen. Mit dem Sonnenaufgang und bei Kaffee kommen die penetranten Sorgen der bürgerlichen Vernunft allerdings wieder auf.
Miss Juni hat ähnliche Probleme: Sie genießt die Aufmerksamkeit, die sie mit ihrem Titel auf sich zieht und die Tatsache, dass sie in ihrem Ort eine kleine Sensation ist. Und auch Miss Juni – wie das Mädchen im lila Twingo – hat eine tolle Zeit Hier und Jetzt in der Gegenwart. Ihre „Blindheit” und der naive „Mut” nervt ein wenig, aber Bernd Begemann bewundert sie auch. Und er macht sich ein wenig Sorgen über sie:
Und wie ein Tänzer auf dem Seil,
Schaust Du nicht nach rechts und links
Wo es runter geht so steil,
Du blickst nach vorne auf dein Ziel
Applaus, ein Haus
ein Freundeskreis mit Stil
Bis jetzt ging alles gut
Mit Blindheit, und mit Mut.
Was macht Miss Juni im Dezember…?
Was macht Miss Juni im Dezember…?
Hast du dann endlich deine Belohnung?
Oder wirst du frieren in deiner kalten Wohnung?
Bernd Begemann beschreibt in diesen Frauengeschichten auf wundervolle Art und Weise die Probleme von Langlebigkeit: Es gibt so viele vernünftige Dinge, die wir machen sollten (Ausbildung machen, einen guten Job finden, Vorstadtleben statt immerzu in Bars und Konzerte gehen), damit wir mit ausreichendem Wohlstand, angemessener Sicherheit und Stabilität alt werden. Aber was für ein Leben ist es, wenn wir nur vernünftig leben und immerzu auf Lebensfreude und Spaß verzichten? „Heute verlorenes Glück ist für immer verlorenes Glück”, sagt Paul Dolan, der britische Professor für Verhaltenswissenschaft an der London School of Economics and Political Sciences (LSE). Bernd Begemann stimmt zu.
Ich weiß nicht mehr genau, wie er es in seinem Konzert am 29. Dezember in Hamburg zum Abschluss gesagt hat. Aber sinngemäß bat er uns (ziemlich emotional) um den Neujahrsvorsatz, weniger an die Zukunft zu denken und mehr Freude in der Gegenwart zu haben. Das klingt erstaunlich radikal. Und unvernünftig, oder „Unoptimiert”.
Aber ein Verständnis für die Dinge, die uns Lebensfreude und Lebenssinn geben – und Geld so auszugeben und zu verdienen – ist einer meiner Bausteine für „Financial Wellbeing”. Die Musik von Bernd Begemann erinnert mich an diesen Baustein. Und so ging ich tatsächlich nochmal zur Bar, bestelle mir und der Freundin, mit der ich auf dem Konzert bin, noch ein Getränk und gebe ordentlich Trinkgeld. Ich achte nicht darauf, wann die letzte Bahn fährt, die mich in den Hamburger Vorort bringen könnte, in dem meine Eltern leben… Vielleicht muss ich ein Taxi nehmen. Am nächsten Tag könnte ich es bereuen – weil ich verkatert und müde bin und zu viel Geld ausgegeben habe. Aber in der Woche darauf, ein halbes Jahr oder Jahr später denke ich gerne dran zurück: Das war mal wieder ein toller Abend mit Bernd – mit viel Spaß und Lebensweisheit.