Über Vergleiche

Neulich, an einem regnerischen Freitag Nachmittag: Ich entscheide mich dafür, die auf der Arbeit noch anstehenden Aufgaben in die nächste Woche zu verschieben. Und mein Sohn Robbie, 6, freut sich, weil ich endlich Zeit habe, ihm ein Cockpit zu bauen. Er möchte es in seinem Bett aufbauen.

Gemeinsam besorgen wir ein großes Stück Pappe, malen es schwarz, schneiden Fenster in die obere Hälfte und kleben bunte Knöpfe in die untere Hälfte. Einige von diesen sind für Türen, andere für Räder und so weiter. Er ist sehr zufrieden und fängt an zu spielen.

Ein paar Tage später kommt seine Zwillingsschwester, Tilda. Sie will jetzt ebenso ein Cockpit für ihr Bett. Aber sie möchte ein Schlaf-flugzeug. Die Kuscheltiere in ihrem Bett können dann, mit ihr als Pilotin, durch die Nacht fliegen. Dafür braucht sie dasselbe Cockpit wie ihr Bruder. Nur braucht sie darüber hinaus auch einen Lichtschalter für die Kabine.

Also besorge ich zum zweiten Mal ein großes Stück Pappe, male es wieder schwarz, schneide wieder Fenster aus, und so weiter. Und diesmal klebe ich als erstes den Lichtschalter ein.

Jetzt passiert das Unvermeidliche: Robbie sieht den Lichtschalter und ist sauer. Warum hat er keinen Lichtschalter? Natürlich möchte er auch einen haben. Es gibt etwas Theater – ein Drama. Und am Ende hat auch er seine Lichtschalter.

Immer wieder hören und lesen wir, dass wir uns zum Glücklichsein nicht vergleichen sollen. Maja Günter hat ein ganzes Buch zu dem Thema geschrieben: "Vergleiche dich nicht, sei du selbst: Eine Anleitung zur Selbstakzeptanz". Fairer Weise muss ich zugeben, dass es um mehr geht als Vergleiche. Maja Günter bietet ebenso verschiedene Übungen und Anleitungen, um negative Gedankenmuster und Selbstzweifel zu erkennen und zu überwinden. Dabei werden auch Themen wie Perfektionismus, Selbstwertgefühl und das Finden der eigenen Identität behandelt.

Nichts desto trotz hört man immer wieder, dass man einfach aufhören soll, sich zu vergleichen.

Aber diese kurze banale Szene mit meinen Zwillingen erinnert uns an einen ganz einfachen Fakt: Wir können nicht nicht vergleichen. Woher sollen wir wissen, ob etwas gut oder schlecht ist, wenn wir es nicht mit etwas anderem vergleichen können.

Leon Festinger, ein amerikanischer Sozialpsychologe, entwickelte in den 1950er Jahren eine Theorie über soziale Vergleiche. Laut Festinger nutzen Menschen soziale Vergleiche, um ihre eigenen Fähigkeiten, Meinungen und Einstellungen zu bewerten. Seine Theorie lehrt uns, dass Menschen dazu neigen, sich mit anderen zu vergleichen, um eine Einschätzung ihres eigenen Selbstwerts und ihrer Position in der sozialen Hierarchie zu erhalten.

Diverse sozialanthropologische Studien bestätigen diese Perspektive. Es gibt zum Beispiel eine schöne Studie der inzwischen verstorbenen Soziologin Jean Lave und dem Schweizer Soziologen Etienne Wenger. Die beiden untersuchten in ethnografischer Forschung, wie Menschen ihre Fähigkeiten und ihr Wissen in einer Gemeinschaft der Praxis durch soziale Vergleiche entwickeln und verbessern können. Sie führten ihre Forschung in einer Gemeinschaft von Schreinern in einer ländlichen Region in Mexiko durch.

Die beiden fanden heraus, dass die Schreiner in dieser Gemeinschaft ihre Fähigkeiten und ihr Wissen durch das Beobachten und Nachahmen von anderen Schreinern verbessern konnten. Sie verglichen ihre eigenen Fähigkeiten und ihr Wissen auch mit anderen Schreinern in der Gemeinschaft und nutzten diese Vergleiche, um ihre eigenen Stärken und Schwächen besser zu verstehen. Diese sozialen Vergleiche halfen den Schreinern auch dabei, ihre eigenen Fähigkeiten und ihr Wissen als Teil eines gemeinsamen Wissensbestands zu sehen.

Der an der London School of Economics lehrende Sozialanthropologe Charles Stafford verbrachte mehrere Jahre in der Gemeinschaft von Angang und führte dort ebenso eine ethnographische Forschung durch. Er untersuchte, wie Kinder in dieser Gemeinschaft lernen und sich entwickeln und fand heraus, dass Kinder in Angang von klein auf in alltägliche Aufgaben und Aktivitäten in der Gemeinschaft einbezogen werden. Und: Sie lernen, indem sie beobachten, imitieren und mit anderen zusammenarbeiten.

 Stafford stellte fest, dass Kinder in Angang ihre Fähigkeiten und ihr Wissen auch durch Vergleiche mit anderen Kindern in der Gemeinschaft verbessern. Zum Beispiel können sie ihre Fähigkeiten im Jonglieren von Zahlen oder im Tanzen mit anderen Kindern vergleichen und durch den Austausch von Techniken und Strategien lernen.

Mit anderen Worten: zu vergleichen ist menschlich. Und Menschen zu sagen, dass sie sich nicht vergleichen sollen ist sinnlos. Wir können es nicht nicht tun. Aber: wir können besser vergleichen.

In meinem Buch “Financial Wellbeing” rate ich deshalb zu Folgendem:

Vergleiche normalisieren: Um den Instinkt des Vergleichens zu bewältigen, ist es wichtig, die negativen Emotionen des Neides und der Eifersucht zu akzeptieren und zu normalisieren, indem man sich selbst sagt, dass es in Ordnung ist, diese Emotionen zu empfinden, bevor man sich darauf konzentriert, positive Wünsche für die Person zu äußern, auf die man neidisch ist.

Von Vergleichen lernen: Ein weiterer Weg, um mit Neid umzugehen, ist es, sich mit den Referenzpunkten auseinanderzusetzen und zu erforschen, welche Eigenschaften genau beneidet werden und ob diese unter den gegebenen Umständen sinnvoll sind, bevor man hilfreiche Dinge über sich selbst lernt.

Strategisch vergleichen: Vorbilder können uns helfen, besser mit Vergleichen umzugehen. Wir sollten uns strategisch aussuchen, mit wem wir uns vergleichen wollen. Vorbilder sollten aus unserer Nachbarschaft, unserem Alter oder Lebensstil kommen. Wir können auch populäre Beispiele für eine bestimmte Eigenschaft auswählen.

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