Adam Smith: Der erste Kritiker des Konsumkapitalismus
Als ich noch in Deutschland lebte, kannte ich Adam Smith nur vom Namen. Trotzdem hatte ich eher negative Assoziationen mit ihm.
Die Formulierung der „unsichtbaren Hand des Marktes" stand heraus. Vielleicht weil es irgendwie gruselig klingt? Ich erinnere mich daran, wie – immer dann, wenn etwas schief lief – die „unsichtbare Hand des Marktes" pauschal und besserwisserisch als ironisches Gegenargument gegen den politischen Konsens bedient wurde.
Zu hohe Mieten? Tja, das ist halt die unsichtbare Hand des Marktes.
Krieg im Irak? Die unsichtbare Hand des Marktes.
Ein Korruptionsskandal? Die unsichtbare Hand des Marktes.
Inzwischen lebe ich in Großbritannien und habe eine andere Haltung zu Liberalismus und Kapitalismus. Und ich lebe in Edinburgh, wo Adam Smith stark gewirkt hat. Nicht zuletzt deshalb habe ich auch eine andere Haltung zum Ehrenbürger dieser Stadt.
Im Jahre 2008 wurde Smith zu Ehren ein Denkmal auf der bekannten Royal Mile gebaut. Die Begründung für das Denkmal und die anhaltende Verehrung von Smith in Edinburgh liegt nicht nur darin, dass er noch heute als einer der bedeutendsten Ökonomen und Wirtschaftswissenschaftler gilt. Darüber hinaus wird er, zusammen mit seinem Freund David Hume, als Symbol für die intellektuelle und kulturelle Bedeutung der Stadt angesehen. Es wird auch argumentiert, dass er einen bedeutenden Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung und dem Wohlstand der Stadt geleistet hat.
Je mehr ich mich mit ihm beschäftigt habe, desto mehr stellte ich fest, dass viele meiner alten Instinkte nicht nur unberechtigt, sondern auch unfair waren. Adam Smith wollte nie Untätigkeiten einer Regierung entschuldigen, ein Fürsprecher von mächtigen Unternehmen und Interessengruppen sein, soziale Ungerechtigkeiten schulterzuckend hinnehmen oder externe Effekte wie Umweltverschmutzung oder den Abbau natürlicher Ressourcen als Nebeneffekte akzeptieren.
Adam Smith wollte vor allem, dass die Menschen und Nationen nicht blind mehr Geld anhäufen. Er wollte, dass sie glücklicher werden. In einem bekannten Zitat, das seine Ansicht über die Rolle des Wohlstands und der Wirtschaft in der Gesellschaft widerspiegelt, schreibt er: „Der Reichtum eines Landes besteht nicht in seiner Menge an Gold und Silber, sondern in seiner Arbeit und Industrie." (The Wealth of Nations, Buch II, Kapitel I) Mit anderen Worten, es kommt nicht allein auf die Menge an physischen Ressourcen an, sondern auch auf die Arbeit und die produktiven Tätigkeiten der Menschen.
Smith betonte auch, dass die Wirtschaft und der Markt dazu beitragen sollten, das allgemeine Wohlbefinden und Glück der Menschen zu fördern, und nicht nur darauf ausgerichtet sein sollten, den Reichtum einiger weniger zu maximieren: „Der reichste Mann ist nicht der, der am meisten hat, sondern der, der am wenigsten braucht." (The Theory of Moral Sentiments, Teil IV, Kapitel I). Dieses Zitat betont, dass wahre Zufriedenheit und Glück nicht durch den Besitz von materiellen Gütern erreicht werden können, sondern durch die Befriedigung der Bedürfnisse und Wünsche, die wirklich wichtig sind. Smiths Arbeit zeigt, dass er sich nicht nur für die Förderung des Wohlstands, sondern auch für das Glück und das Wohlbefinden der Gesellschaft als Ganzes eingesetzt hat.
Adam Smith hat zwar betont, dass die Verfolgung eigener Interessen und die Nutzung eigener Talente und Fähigkeiten zur Schaffung von Wohlstand und Fortschritt wichtig sind, aber er hat auch betont, dass das Glück und das Wohlbefinden der Menschen nicht allein durch materiellen Wohlstand erreicht werden kann. Er schreibt zum Beispiel, dass das „Streben nach Glück und Selbstverwirklichung [...] eine wichtige Triebfeder in der menschlichen Natur [ist]." (The Theory of Moral Sentiments, Teil IV, Kapitel I). Auch hier betont er wieder, dass Menschen nicht nur materielle Ziele verfolgen, sondern auch nach persönlichem Wohlbefinden und Sinn streben.
An anderer Stelle sagt er, dass „der wirkliche Preis der Arbeit ist das, was sie einem Menschen ermöglicht, zu kaufen und zu genießen. Ihr wahrer Lohn ist das Vergnügen und die Befriedigung, die er durch sie erhält." (The Wealth of Nations, Buch I, Kapitel VIII). Kurzum, Arbeit sollte nicht nur als Mittel zum Erwerb von Wohlstand betrachtet werden, sondern auch als Quelle der Zufriedenheit und Befriedigung. Indem Menschen Arbeit finden, die sie sinnvoll und befriedigend finden, können sie nicht nur ihr Einkommen erhöhen, sondern auch ein erfülltes Leben führen.
Schließlich: „Ein Mensch, der keinen Freund hat, ist wie ein Mann, der nur eine Hand hat." (The Theory of Moral Sentiments, Teil I, Kapitel IV). Mit anderen Worten, menschliche Beziehungen und soziale Verbindungen sind wichtig, um Glück und Erfüllung im Leben zu finden. Auch hier betont er damit, dass Wohlstand und materielle Güter allein nicht ausreichen, um ein erfülltes Leben zu führen, sondern dass auch intime Beziehungen und soziale Bindungen erforderlich sind.
An anderer Stelle argumentiert Smith, warum Stadtverwaltungen nicht nur in funktionale, sondern auch schöne Städte investieren sollten. „In allen großen und wohlhabenden Städten gibt es viele öffentliche Plätze, die für die Bevölkerung zugänglich sind und die ihnen die Gelegenheit geben, die Schönheit und Pracht der Stadt zu genießen." (The Wealth of Nations, Buch V, Kapitel I). Und: „In vielen Städten gibt es öffentliche Parks und Gärten, die den Einwohnern die Möglichkeit geben, frische Luft und Ruhe zu genießen." (The Wealth of Nations, Buch V, Kapitel I) Es geht nicht nur um florierende Industrie. In den beiden Zitaten betont er, dass die Verfügbarkeit von öffentlichen Plätzen, Grünflächen und Natur in städtischen Gebieten wichtig ist, um das Wohlbefinden der Bevölkerung zu verbessern.
Kurzum, Adam Smith war kein seelenloser Kapitalist. Zwar bestand seine große Errungenschaft darin, das Konzept des freien Marktes und der Marktwirtschaft zu entwickeln und zu popularisieren. Er betonte die Bedeutung von Arbeitsteilung, Selbstinteresse und Wettbewerb für die wirtschaftliche Effizienz und Wohlstand, und legte damit die Grundlage für die moderne Wirtschaftswissenschaft. Aber er hatte ebenso eine tiefe humanistische Perspektive und betonte die Bedeutung des menschlichen Wohlbefindens und der Selbstverwirklichung. Er argumentierte, dass wirtschaftliche Effizienz und Wohlstand nur Mittel zum Zweck sind, um das menschliche Glück und die menschliche Natur zu fördern.
Viele Kennzeichen des modernen Konsumkapitalismus würde er kritisieren. Er würde monieren, dass wir heute viele Ausgaben für Güter oder Dienstleistungen unternehmen, die keinen wirklichen Nutzen oder Mehrwert für das Wohlbefinden der Menschen bringen. In seinem Werk „The Wealth of Nations" betonte er, dass der Wohlstand einer Nation nicht durch den Konsum von Luxusgütern, sondern durch die Produktion von Waren und Dienstleistungen, die das menschliche Wohlbefinden steigern, erreicht wird.
Diese Perspektive wird häufig nicht gesehen. Meine Erfahrung ist, dass man in Deutschland liberale Denker eher skeptisch sieht. Theodor Heuss, der erste Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, hat den Deutschen einen „gefühlsbetonten Antikapitalismus" in seiner Rede „Der Sinn des Marktes" am 18. Mai 1952 in Frankfurt am Main vorgeworfen. Heuss betonte, dass eine freie Marktwirtschaft und individuelle Freiheit nicht im Widerspruch zu sozialer Gerechtigkeit und Solidarität stehen müssen, sondern dass sie vielmehr dazu beitragen können, diese Werte zu fördern.
Es lohnt sich, diese Perspektive nicht instinktiv abzulehnen, sondern ernst zu nehmen: für das eigene Financial Wellbeing, und um ein besseres Verständnis für die komplexen Zusammenhänge von Wirtschaft, Gesellschaft und Moral zu erlangen.