Verstehen, was uns antreibt

Vor kurzem haben wir im Zentrum für Verhaltensforschung untersucht, welche Bias die Menschen davon abhalten, bestimmte Versicherungsprodukte zu kaufen. Dass Lebensversicherungen, Versicherungen gegen schwere Krankheiten und Einkommensschutz wichtig sind, um sich gegen Unfälle, Krankheiten und vorzeitigen Tod abzusichern, ist allgemein bekannt. Trotzdem besitzen viele Menschen solche Produkte nicht. Und warum?

In unserer jährlichen Umfrage zum Financial Wellbeing haben wir all jenen, die uns sagten, dass sie diese Produkte kennen, sich aber noch nicht für eines entschieden haben, eine einfache Frage gestellt. Wir wollten wissen, ob sie aus einem der folgenden Gründe keines dieser Produkte gekauft haben:

 

Warum haben Sie keines der genannten Produkte?

Bitte wählen Sie alle zutreffenden aus.

·         Ich glaube, dass die Wahrscheinlichkeit, ein negatives Ereignis wie eine schwere Krankheit oder einen Unfall zu erleiden, geringer ist als bei der Durchschnittsperson.

·         Ich möchte meine derzeitige finanzielle Situation nicht durch den Kauf von Schutzprodukten beeinträchtigen.

·         Ich bin in der Lage, alle finanziellen Herausforderungen zu bewältigen, die sich aus negativen Ereignissen wie einer schweren Krankheit oder einem Unfall ergeben können

·         Gegenwärtige Bedürfnisse und Wünsche haben für mich im Moment eine höhere Priorität als die Planung für Eventualitäten in der Zukunft

·         Ich kenne niemanden sonst, der diese Produkte besitzt

·         Ich bin in der Lage, die Ereignisse in meinem Leben zu kontrollieren und sehe keine Notwendigkeit für diese Schutzprodukte.

·         Ich habe mich damit befasst und denke, dass solche Produkte in meiner Situation nicht notwendig sind.

·         Ich wollte mich damit befassen, bin aber nie dazu gekommen.

·         Sonstiges (bitte angeben)

 

Diese Gründe spiegeln gängige Bias wider. Zum Beispiel die Annahme, dass ein negatives Ereignis eher bei anderen Personen zutrifft ist ein gutes Beispiel für die Optimismus Bias. Oder die Aussage, dass man die aktuelle finanzielle Situation durch den Kauf von Versicherungsprodukten nicht beeinträchtigen möchte, ist ein Beispiel für Status-Quo Bias.

Die weiteren Bias, in der Reihenfolge der obigen Aussagen lauten: Selbstüberschätzung, Gegenwartsbias, Herdenverhalten, Illusion der Kontrolle, Bestätigungsbias, Trägheit.

In früheren Umfragen haben wir festgestellt, dass einer der Gründe, warum Menschen keines der genannten Versicherungsprodukte abgeschlossen haben, darin besteht, dass sie niemanden kennen, der sie besitzt. Das ist wahrscheinlich nicht wahr. Wahrscheinlich kennen diese Menschen doch einige Leute mit solchen Produkten. Aber sie haben nicht mit ihnen über dieses Thema gesprochen. Kein Wunder, denn Lebensversicherungen sind normaler Weise nicht die Themen, die zu heiteren Abenden anregen.

Aber der Punkt ist ein anderer. Es geht darum, dass wir das, was objektiv ein gutes Produkt ist, nicht aus wohlüberlegten Gründen besitzen, sondern weil Instinkte, Emotionen, Motivationen, Fähigkeiten oder Kontextfaktoren uns daran gehindert haben, dies zu tun.

Diese Faktoren zu untersuchen, ist das Ziel der Verhaltenswissenschaften.

Dennoch ist es wichtig anzuerkennen, dass Bias - d. h. systematische Fehler in unseren Denkprozessen - nicht nur zu schlechten Entscheidungen führen. Auch gute Entscheidungen können auf Vorurteilen beruhen.

In derselben Umfrage haben wir diejenigen, die uns gesagt haben, dass sie diese Produkte gekauft haben, gefragt, warum sie dies getan haben. Diesmal haben wir uns die Vorurteile angesehen, die erklären könnten, warum die Leute diese Produkte kaufen.

 

Warum besitzen Sie diese Versicherungsprodukte?

Bitte wählen Sie alle zutreffenden aus.

·         Ich habe Angst, meine finanzielle Sicherheit zu verlieren oder meine Fähigkeit, meine Familie zu versorgen

·         Diese Produkte geben mir ein Gefühl der Sicherheit und / oder verringern den finanziellen Stress heute

·         Viele Leute, die ich kenne, besitzen diese Produkte

·         Der Besitz dieser Produkte gibt mir ein Gefühl der Kontrolle über mögliche negative Ereignisse

·         Ich kenne jemanden, der ein negatives Ereignis wie eine kritische Krankheit/einen Unfall oder einen vorzeitigen Tod erlebt hat, und deshalb kenne ich den Zweck solcher Schutzprodukte

·         Jüngste Ereignisse oder Trends, wie z. B. Covid oder wirtschaftlicher Abschwung, haben mich auf bestimmte Risiken aufmerksam gemacht und sie zum Kauf dieser Produkte motiviert

·         Ich bin häufig auf den Zweck dieser Produkte aufmerksam gemacht worden, z. B. durch Werbung oder Empfehlungen von Freunden und Familienmitgliedern

·         Ich sehe den Kauf dieser Schutzprodukte als eine Möglichkeit, mein eigenes finanzielles Wohlergehen zu schützen

·         Ich habe in der Vergangenheit positive Erfahrungen mit anderen Versicherungsprodukten gemacht

·         Sonstiges (bitte angeben)

 

Diese Gründe spiegeln wiederum gängige Bias wider. Zum Beispiel die Aussage, dass man Versicherungsprodukte kauft aus Angst, die finanzielle Sicherheit zu verlieren ist ein Beispiel für Verlustaversion. Oder die Aussage, dass diese Produkte einem Hier und Jetzt ein Gefühl von Sicherheit geben, ist ein Beispiel für die Gegenwartsbias.

Die weiteren Bias in der Liste oben sind: Herdenverhalten, Illusion der Kontrolle, Verfügbarkeitsverzerrung, Aktualitätsverzerrung, Mere Exposure Effect Bias, Selbstwertdienliche Verzerrung, Verankerungseffekt.

Der Verhaltenswissenschaftler Dan Ariely zum Thema Verhaltensökonomie, finanzielle Entscheidungsfindung oder kognitive Verzerrungen

Meiner Meinung nach verdeutlichen diese zwei Fragen, warum es so schwer ist, Financial Wellbeing zu erreichen. Ein und dieselbe Entscheidung kann schlecht oder ratsam sein. Und sowohl die schlechte als auch die ratsame Entscheidung kann aus Gründen zustande kommen, die als voreingenommen oder irrational angesehen werden können. Und um urteilen zu können ob eine Entscheidung als gut oder schlecht angesehen kann reicht es nicht, allein auf das zu achten was objektiv richtig ist aus finanzieller Perspektive. Wir müssen auch Emotionen, Instinkte, Bedürfnisse und Werte berücksichtigen.

Ein persönliches Beispiel: In den ersten Jahren der Rückzahlung meines Hypothekendarlehens war ich sehr darauf bedacht, vorzeitige Tilgungen zu leisten. Ich wollte die Hypothek so schnell wie möglich abbezahlt haben, um sagen zu können, dass dieses Haus vollständig mir und meiner Familie gehört. Keine Hypothek. Keine Schulden. Und folglich habe ich die maximale Tilgungen geleistet, die mir meine Bank erlaubt hat.

Das klingt vielleicht erstmal nach einer absolut vernünftigen Sache. Der Wirtschaftswissenschaftler würde jedoch sagen, dass es das nicht war. Anstatt Schulden zu tilgen, als die Zinsen für mein Darlehen sehr niedrig waren, hätte ich Geld zur Seite legen und in meine Rente oder in langfristige Sparanlagen investieren sollen. In solchen Sparanlagen wäre das Geld schneller gewachsen, als ich mit demselben Geldbetrag meine Schulden hätte abbezahlen können. Oder anders ausgedrückt: Aus einer Überzahlung von £15.000 hätte sich im Laufe von 3,5 Jahren ein Betrag von £20.000 entwickeln können. Eine Überzahlung von £15.000 hätte die Kosten der Hypothek nur um £450 verringert.

Eine Reihe von Verzerrungen oder Bias könnte meinen Wunsch erklären, die Hypothek vorzeitig abzubezahlen:

Verlustaversion: Vielleicht war ich eher motiviert, Verluste zu vermeiden als Gewinne zu erzielen. Die Rückzahlung einer Hypothek kann ein sichereres Mittel sein, um einen Verlust zu vermeiden (z. B. den Verlust des Eigenheims), als die Investition in eine Rente, die als risikoreicher empfunden werden kann.

Gegenwartsverzerrung: Möglicherweise habe ich den unmittelbaren Vorteilen mehr Wert beigemessen als den zukünftigen Vorteilen. Die Rückzahlung einer Hypothek bietet einen greifbaren und unmittelbaren Nutzen (d.h. Schuldenabbau), während der Nutzen einer Renteninvestition möglicherweise erst in ferner Zukunft realisiert wird.

Illusion der Kontrolle Bias: Möglicherweise habe ich meine Fähigkeit, die Ergebnisse zu kontrollieren, überschätzt. Die Rückzahlung eines Hypothekendarlehens könnte mir das Gefühl gegeben haben, meine finanzielle Situation unter Kontrolle zu haben, während die Investition in eine Altersvorsorge eher passiv und außerhalb meiner Kontrolle gewesen sein könnte.

Erkenntnisse aus der Verhaltensökonomie können oft erklären, warum wir nicht das tun, was wir tun sollten. Aber sie können auch erklären, warum wir das Richtige tun.

Das Erreichen von Financial Wellbeing ist eine komplexe und herausfordernde Aufgabe, da es darauf ankommt, objektive wirtschaftliche Entscheidungen mit subjektiven Emotionen, Instinkten und Werten in Einklang zu bringen. Die traditionelle ökonomische Perspektive bietet wertvolle Orientierung, um Wohlstand zu maximieren und Risiken zu minimieren. Dabei werden Empfehlungen auf Basis bestimmter finanzieller Umstände gegeben. Diese objektiven Ansätze berücksichtigen jedoch oft nicht den starken Einfluss von Emotionen und persönlichen Werten, die sich auf die finanziellen Entscheidungen eines Individuums auswirken können.

Um finanzielles Wohlbefinden zu erreichen, ist es wichtig, diese subjektiven Faktoren mit den objektiven finanziellen Empfehlungen in Einklang zu bringen und dabei zu erkennen, dass ein allgemeingültiger Ansatz nicht ausreicht. Jeder Einzelne muss ein Bewusstsein für sich selbst entwickeln und seine persönlichen Prioritäten verstehen, um fundierte Entscheidungen zu treffen, die auf seine individuellen Umstände und Werte abgestimmt sind. Dieser Prozess kann beispielsweise das Abwägen des Sicherheitsgefühls beim Tilgen eines Hypothekendarlehens gegenüber den potenziellen langfristigen Vorteilen des Anlegens in Altersvorsorge oder die emotionale Sicherheit einer Lebensversicherung trotz ihrer möglichen wirtschaftlichen Ineffizienz beinhalten.

Über die Schwierigkeit, den richtigen Ausgleich zwischen objektiven und subjektiven Faktoren zu finden, schreibe ich in meinem Buch. Es behandelt beide Aspekte der finanziellen Entscheidungsfindung und hilft Ihnen dabei, echtes finanzielles Wohlbefinden zu erlangen, indem Sie Ihre finanziellen Bedürfnisse und Ziele erfüllen und gleichzeitig ein Gefühl von Sicherheit und Zufriedenheit bewahren.

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Wie geht bessere Finanzbildung?