Finanzielle Bildung: Ist Unwissenheit wirklich das Problem oder nur eine faule Ausrede?

Warum betreiben Menschen nicht genug Altersvorsorge, haben viele Menschen zu wenig Rücklagen für Notfälle, können nicht mit Schulden umgehen oder richtig haushalten?

Für die Politik ist die Antwort klar: Es herrscht ein Mangel an finanzieller Bildung.

In Deutschland gibt es deshalb seit März 2023 die Initiative Finanzielle Bildung. Christian Lindner, der Bundesfinanzminister, erklärte:

Finanzielle Bildung ist ein Instrument zur Selbstermächtigung. Zur vollen gesellschaftlichen und ökonomischen Teilhabe gehört es, dass jede und jeder individuell für sich kompetente finanzielle Entscheidungen treffen kann – von Versicherungs- und Vorsorgeentscheidungen bis hin zur Frage, ob und mit welchem Risiko Kapitalmarktchancen genutzt werden. Erwerb von Eigentum und Aufbau von Vermögen sind in Deutschland ohnehin schon unnötig schwer. Hier wollen wir Barrieren abbauen. Dazu gehört auch, finanzielles Wissen zu verbessern und eigenverantwortliche Entscheidungen zu unterstützen. Ich bin überzeugt: Auf Dauer können wir mit unserer gemeinsamen Initiative neue Chancen für Wohlstand und Vermögensaufbau schaffen.

Auch in Österreich gibt es eine Nationale Finanzbildungsstrategie aus ähnlichem Grund.

Die Vision ist unterstützenswert. Aber die Mittel sind einseitig und taugen höchstwahrscheinlich nichts. Aus zwei Gründen:

  • Eine nur auf technisches Wissen reduzierte Bildung reicht erwiesenermaßen nicht aus: In einer einschlägigen Metastudie wurde der Zusammenhang zwischen ökonomischer Bildung und Finanzverhalten in 168 wissenschaftlichen Arbeiten untersucht. Die Forscher stellten fest, dass Maßnahmen zur Verbesserung des Finanzwissens nur einen mikroskopisch kleinen Teil des Finanzverhaltens erklären. Und bei einkommensschwachen Gruppen gibt es beinahe gar keinen Effekt. Selbst aufwendige und wohlüberlegte Programme mit vielen Unterrichtsstunden hatten 20 Monate später kaum noch Auswirkungen auf das Verhalten.

  • Mangel an Wissen ist (zumindest laut Selbstaussage) ohnehin nicht das Problem. In einer von mir mit Bilendi & respondi, einem der führenden Anbieter für Online Market Research Services in Europa, durchgeführten repräsentativen Studie unter 2000 Deutschen fanden wir heraus, dass der überwiegenden Mehrheit der Deutschen klar ist, dass sie Rücklagen brauchen, Altersvorsorge betreiben müssen, mit Schulden nachhaltig umgehen müssen und ordentlich haushalten müssen.

Was wäre besser?

In meinem Ende des Monats erscheinenden Buch argumentiere ich für einen Ansatz, der über bloße Finanzbildung hinausgeht: Um verantwortungsbewusst mit Geld umzugehen, müssen wir die zugrunde liegenden Instinkte, Gefühle, Triebkräfte, kognitiven Prozesse und externe Faktoren, die unsere täglichen finanziellen Entscheidungen beeinflussen, verstehen. Unser heutiges Leben ist geprägt von einer Flut von Ablenkungen, die ständig unsere Aufmerksamkeit verlangen und uns oft zu impulsiven Entscheidungen verleiten. Das Ergebnis? Unüberlegte Käufe, unnötige Ängste und das ständige Bedürfnis, sofort auf aktuelle Herausforderungen zu reagieren.

In den späteren Kapiteln meines Buches betone ich, wie wichtig es ist, sich Zeit zu nehmen, um unsere tiefsten Interessen und Triebkräfte zu erforschen. Es geht darum, regelmäßig in sich zu gehen und zu reflektieren, was uns wirklich erfüllt, was uns Freude bringt und warum wir manchmal neidisch auf andere blicken. Diese Selbstkenntnis ist potenziell wirkungsvoller für kluge finanzielle Entscheidungen als allgemeine Finanzbildung und jedes Tool, das die Finanzwelt zu bieten hat. Und die tiefgehenden Prinzipien von Finanzen, wie Zinseszinsen, sind leichter zu begreifen, wenn wir einen echten, inneren Anreiz haben, sie zu verstehen.

Weiterhin spreche ich mich für ein langfristiges Denken aus, oft als „Longevity Literacy“ (Langlebigkeitskompetenz) bezeichnet. Dies geht über die einfache Finanzbildung hinaus. Finanzbildung hilft uns, finanzielle Konzepte zu begreifen, vom Budgetieren bis zum Investieren. Aber Langlebigkeitskompetenz ist breiter und umfasst die Vorbereitung auf ein längeres, erfüllteres Leben und die damit verbundenen Chancen und Herausforderungen.

In unseren verlängerten, gesunden Lebensspannen müssen wir unsere Karriere und Finanzen so strukturieren, dass wir uns dynamisch an die ständig wechselnden Umstände anpassen können. Vielleicht bedeutet das, unseren Karriereweg schrittweise und langsamer zu gestalten oder unsere Finanzen so zu planen, dass sie verschiedene Karriere- und Lebensphasen unterstützen.

Für wahre Langlebigkeit benötigen wir nicht nur traditionelle finanzielle Ressourcen, sondern auch robuste soziale Netzwerke und die Fähigkeit zur ständigen Weiterbildung. Hier wird die tiefe Selbstkenntnis unerlässlich. Tatsächlich kann man sagen, dass Selbstkenntnis als ein "Vermögenswert für Langlebigkeit" betrachtet werden kann, der uns hilft, unsere Stärken und Schwächen, Wünsche und Bestrebungen zu identifizieren.

Ich ermutige Sie daher, sich regelmäßige Momente der Selbstreflexion zu gönnen und über Ihr Leben und Ihre Ziele nachzudenken. Es ist wertvoll, ein klares Verständnis für Ihre eigenen Fähigkeiten und Prioritäten zu haben. Dies mag sich nach einer tiefen Selbstsuche anhören, aber es kann so einfach sein wie das Erkennen von alltäglichen Dingen, die uns Freude bereiten. Diese kleinen Erkenntnisse können uns wertvolle Hinweise darauf geben, was wir im Leben wirklich wollen und wie wir dorthin gelangen können.

Finanzbildung ist nicht unwichtig. Aber Finanzbildung allein hilft uns nicht, bessere Entscheidungen zu treffen!

Vielen Dank an Bilendi & respondi für die großzügige Unterstützung! Die diese Studie begleitende Pressemitteilung finden Sie hier.

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Financial Wellbeing Tipps von Hanno Buddenbrook

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Pressemitteilung: Finanzielle Bildung vs. tatsächliches Verhalten